Wenn dir etwas passiert ist, bei dem du verletzt wurdest, wenn du Schmerzen hast, wenn du eine Infektion, eine Schwangerschaft oder K.O.-Tropfen für möglich hältst und auch, wenn du Spuren oder Beweise sichern wollen könntest: lass dich notfallmedizinisch versorgen, um deine Gesundheit zu schützen und dir deine Optionen offenzuhalten.
Nach dem, was du erlebt hast, kann es natürlich ziemlich unangenehm sein, dir medizinische Hilfe zu holen. Aber gerade, wenn dir etwas passiert ist, ist es wichtig, dass sich um deine Gesundheit gekümmert wird. Das wird dir helfen, dir in der kommenden Zeit keine Sorgen darum machen zu müssen und dich schneller wieder sicher fühlen zu können.
Solltest du dich fragen, ob deine Situation wirklich “dringend genug” ist, um in ein Krankenhaus zu gehen und dich notfallmedizinisch versorgen zu lassen, will ich dich deshalb auch dazu ermutigen. Du verdienst jetzt jede Hilfe, Entlastung und Sicherheit, die du bekommen kannst.
Deine Privatsphäre wird von der Schweigepflicht geschützt
In Deutschland gilt bei jeder medizinischen Versorgung die Schweigepflicht. Sie schützt deine Privatsphäre und stellt sicher, dass ohne deine ausdrückliche Zustimmung keine Informationen weitergegeben werden dürfen. Du musst also keine Sorge haben, dass etwas gegen deinen Willen weitergegeben wird – auch nicht an die Person, die dir Gewalt angetan hat. Die Schweigepflicht hat nur wenige gesetzliche Ausnahmen. Dazu gehört zum Beispiel, wenn eine schwere Straftat verhindert werden muss, bei manchen Fällen, wenn du unter 18 bist oder wenn das Infektionsschutzgesetz vorschreibt, dass eine Krankheit an das Gesundheitsministerium gemeldet werden muss.
Du kannst jederzeit in eine Notaufnahme gehen
In Deutschland sind Notaufnahmen rund um die Uhr geöffnet. Du kannst also jederzeit dorthin gehen, unabhängig davon, ob du privat oder gesetzlich versichert bist. Du kannst zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Voranmeldung in die Notaufnahme gehen, auch an Wochenenden oder Feiertagen. Manchmal kann es sein, dass du einige Zeit warten musst, bis du behandelt werden kannst, weil die Dringlichkeit nach dem sogenannten Triage-System eingeschätzt wird, das sicherstellt, dass lebensbedrohliche Fälle immer zuerst behandelt werden.
Diese Dinge können in der Notaufnahme abgeklärt werden
In der Notaufnahme geht es zuerst einmal um deine medizinische Versorgung. Dies sind einige Beispiele, was man für dich tun kann:
- Verletzungen und Schmerzen
Wenn du Verletzungen hast, können sie versorgt werden und deine Schmerzen können gegebenenfalls mit Schmerzmitteln behandelt werden. - Test auf K.O.-Tropfen
Es kann getestet werden, ob du Drogen wie K.O.-Tropfen im Blut hast. Wenn du das vermutest, besteh darauf, dass dir sofort Blut und Urin abgenommen werden. Es kann sein, dass zuerst angenommen wird, dass du einfach nur betrunken bist. Sprich die behandelnde Person darauf an, damit dein Blut schnell untersucht wird. - Verhindern & Behandeln von Geschlechtskrankheiten
Du kannst vorsorglich Medikamente gegen sexuell übertragbare Infektionen (STIs) bekommen oder dich auf Infektionen untersuchen lassen. Dazu gehören zum Beispiel Chlamydien, Gonorrhoe, Hepatitis B, Syphilis oder HIV. Sollte eine Infektion vorliegen, kannst du schnell behandelt werden. Die meisten Infektionen lassen sich mit Antibiotika behandeln, aber selbst chronische Erkrankungen wie HIV (ein Virus, der das Immunsystem angreift) und Hepatitis B (eine Entzündung der Leber) können heute gut behandelt werden. Je früher du nach einer möglichen Übertragung medizinisch behandelt wirst, desto geringer die Chance, dass du tatsächlich erkrankst. - Notfallverhütung (“Pille danach”)
Du kannst Notfallverhütung bekommen, also die sogenannte “Pille danach”. Es gibt verschiedene Versionen mit jeweils einem von zwei Wirkstoffen. Die “Pille danach” ist kein Schwangerschaftsabbruch, sondern verhindert eine Schwangerschaft. Je nach Wirkstoff kann die “Pille danach” drei bzw. fünf Tage wirksam sein, aber je schneller du sie nehmen kannst, desto höher die Wirksamkeit. Der Zeitpunkt in deinem Zyklus ist entscheidend dafür, dass sie wirken kann, weil sie funktioniert, indem sie deinen Eisprung um einige Tage nach hinten verschiebt. Es kann sein, dass sie dir im Krankenhaus gegeben wird, aber du kannst sie mittlerweile auch rezeptfrei in der Apotheke bekommen. Bei mehrgewichtigen Personen ist die Wirksamkeit der “Pille danach” gemindert. Lass dich dazu unbedingt beraten. - Schwangerschaftstest
Du kannst einen Schwangerschaftstest machen lassen. Falls der Test positiv ist, gibt es Beratungsstellen, die dich unterstützen – egal, ob du die Schwangerschaft fortführen oder abbrechen möchtest. Es ist dein Körper und deine Entscheidung. - Weiterleitung an Beratungsstellen
Du kannst auch an Beratungsstellen und andere Angebote weitergeleitet werden, wo du zusätzlich auch emotional aufgefangen und unterstützt wirst.
Zusätzlich zu deiner medizinischen Versorgung können in Krankenhäusern, die eine vertrauliche Spurensicherung anbieten, Spuren oder Beweise gesichert werden. Deshalb ist es ratsam, direkt in eine Notaufnahme zu gehen, die eine Spurensicherung anbietet.
Eine vertrauliche Spurensicherung schafft dir Handlungsspielraum
Vielleicht bist du unsicher, ob du das, was passiert ist, jemals anzeigen willst. Das ist völlig okay. Wenn du dich noch nicht entscheiden kannst, gibt es trotzdem die Möglichkeit, Beweise sammeln zu lassen, ohne dass du die Polizei einschalten musst. Denn erstmal ist jetzt wichtig, dass du die Kontrolle darüber hast, was als nächstes passiert und dass du dir den größtmöglichen Handlungsspielraum schaffst. Grundsätzlich ist es am besten, die Spurensicherung so schnell wie möglich machen zu lassen. Aber wenn es nicht direkt für dich möglich ist, kannst du natürlich auch noch in den kommenden Tagen ins Krankenhaus gehen. Du bestimmst den Zeitpunkt. Falls du dich wirklich nicht bereit fühlst, ins Krankenhaus zu gehen, kannst du notfalls auch zu einer Ärztin oder einem Arzt deines Vertrauens gehen, zum Beispiel zu deiner Hausärzt*in, Gynäkolog*in oder Urolog*in. Weil die Kürze der Zeit nach einem Vorfall wichtig für die medizinische Versorgung ist und die Möglichkeiten in Krankenhäusern besser als in Arztpraxen sind, ist eine Notaufnahme aber in jedem Fall vorzuziehen.
Es sind zwar Notaufnahmen in allen Krankenhäusern verfügbar, die an der Notfallversorgung teilnehmen, aber für Fälle von Gewalt ist es aber am besten, in eine Notaufnahme zu gehen, die eine sogenannte “vertrauliche Spurensicherung” anbietet. Grund dafür ist, dass nur Ärzt*innen, die speziell dafür qualifiziert sind, eine Spurensicherung so durchführen können, dass sie später vor Gericht standhält. Über diese Suchmaske kannst du herausfinden, welche Notaufnahmen in deiner Nähe eine vertrauliche Spurensicherung anbieten. Gib dazu einfach rechts auf der Seite ein, welche Art von Gewalt du erfahren hast und dann deine Postleitzahl. Dann werden dir Krankenhäuser in deiner Nähe angezeigt, die eine vertrauliche Spurensicherung anbieten.
In Krankenhäusern, die eine vertrauliche Spurensicherung anbieten, werden die gesammelten Spuren und Beweise für mehrere Monate oder manchmal sogar Jahre aufbewahrt, sodass du alle Zeit hast, dir in Ruhe zu überlegen, ob und wann du anzeigen möchtest. Frag vor Ort am besten danach, wie lange die Aufbewahrungsdauer in diesem Krankenhaus ist.
Wenn du dich für eine Spurensicherung entscheidest, versuch vorher unbedingt, nicht zu duschen, deine Hände zu waschen oder deine Kleidung zu wechseln. Ich weiß, wie stark das Bedürfnis sein kann, alles abzuwaschen und hinter sich zu lassen. Aber es hilft, möglichst viele Spuren sichern zu können – für den Fall, dass du später anzeigen möchtest. Zur Spurensicherung kannst du auch Taschentücher, Decken oder Ähnliches mitbringen, die Spuren tragen könnten.
In diesem Artikel erkläre ich dir alles zum Thema Spurensicherung.
Was du tun kannst, damit du dich bei der medizinischen Versorgung möglichst sicher fühlst
Es ist vollkommen verständlich, wenn du dich bei der Vorstellung, deinen Körper von einer fremden Person untersuchen zu lassen, unwohl fühlst. Vielleicht hast du auch gute Gründe, daran zu zweifeln, dass du sensibel behandelt wirst. Das kann ich gut verstehen. Aber du musst das nicht alleine durchstehen. Wenn es dir möglich ist, nimm eine Person deines Vertrauens mit. Diese Person kann dich dabei unterstützen, mit dem Krankenhauspersonal zu sprechen und sicherstellen, dass du dich so wohl wie möglich fühlst.
Du kannst bei Untersuchungen oder der Spurensicherung immer sagen, dass du eine Pause brauchst oder dass du die Behandlung abbrechen möchtest. Die Menschen, die dich behandeln, werden alles tun, um dich so schnell und schonend wie möglich zu versorgen. Du kannst auch sagen, ob du lieber von einer Frau oder einem Mann behandelt werden möchtest. Falls gerade keine Person des Geschlechts verfügbar ist, bei dem du dich wohler fühlst, kannst du darum bitten, so lange zu warten. Eine Garantie gibt es dafür nicht, aber im Rahmen der Möglichkeiten wird normalerweise versucht, deinem Wunsch nachzukommen.
Ich will dich ermutigen, in diesem schweren Moment für dich einzustehen. Es ist so wichtig, dass du dich in dieser Situation möglichst sicher fühlst. Sprich also, wenn möglich, alles an, das dir wichtig ist. Ob du Durst hast, dass du etwas mehr Zeit für einen nächsten Schritt brauchst oder ob dir Schritt für Schritt erklärt werden kann, was passiert.
Ich empfehle dir den Schritt zur medizinischen Notfallversorgung deshalb so sehr, weil mir daran gelegen ist, dass es für dich in der kommenden Zeit möglichst ein paar Themen weniger gibt, über die du dir Gedanken machen musst. Seien das Verletzungen, die nicht richtig verheilen, eine Anzeige, die du mit gesicherten Spuren leichter machen kannst oder dass du dir sicher sein kannst, dass du keine Infektionen übertragen bekommen hast.
Hier findest du medizinische Notfallversorgung:
- Telefonnummer des Rettungsdienstes: 112
- Suchmaske für die vertrauliche Spurensicherung
- Suchmaske für Krankenhäuser in deiner Nähe
- Ärztlicher Bereitschaftsdienst für Untersuchungen zuhause
- Suchmaske für diskriminierungssensible medizinische Versorgung
- Suchmaske für queerfreundliche und/oder sensibilisierte Ärzt*innen