Wenn du Gewalt erlebt hast, kannst du vertraulich Verletzungen dokumentieren und Spuren sichern lassen – ohne, dass irgendjemand davon erfahren muss und ohne Anzeige bei der Polizei. Das hält dir für viele Monate oder sogar Jahre alle Optionen offen, sodass du genügend Zeit hast, dir zu überlegen, ob du irgendwann Anzeige erstatten möchtest.
Vielleicht bist du unsicher, ob du das, was passiert ist, jemals anzeigen willst. Das ist völlig okay. Wenn du dich noch nicht entscheiden kannst, hast du trotzdem die Möglichkeit, Beweise sammeln zu lassen, ohne dass du die Polizei einschalten musst. Denn erstmal ist jetzt wichtig, dass du die Kontrolle darüber hast, was als nächstes passiert und dass du dir den größtmöglichen Handlungsspielraum schaffst.
Wofür es wichtig ist, Spuren sichern zu lassen
Wenn dir körperliche Gewalt angetan worden ist, können die Verletzungen an deinem Körper ein Beweis für eine Straftat sein. Damit die Chance besteht, dass eine Anzeige zu einem Gerichtsprozess führt und eine Tat bewiesen werden kann, ist es entscheidend, ob es eindeutige Beweise gibt. Deshalb ist es wichtig, Spuren sichern zu lassen, wenn eine Anzeige für dich jetzt oder später mal in Frage kommen könnte. Dazu gehören Verletzungen, die du hast, Fasern von Kleidung, Haare oder auch DNA, die in Speichel und allen anderen Körperflüssigkeiten gefunden werden können. Das bedeutet, dass Verletzungen dokumentiert und Spuren gesichert werden sollten. Das gilt sowohl für einen einmaligen Übergriff als auch für wiederholte Gewalt in Beziehungen.
Die Polizei hat erstmal gar nichts mit einer Spurensicherung zu tun
Viele Menschen glauben, dass nur die Polizei eine Spurensicherung machen kann – das ist aber nicht der Fall. Wenn du zur Polizei gehst, würde sie dich zu einem Krankenhaus oder einem rechtsmedizinischen Institut fahren. Dort kannst du aber auch ohne die Polizei hingehen, wenn dir nicht wohl dabei ist, dich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Es hat sogar einen Vorteil, direkt zur Spurensicherung zu gehen, denn oft vergeht eine Menge Zeit, bis du von der Polizei zur Spurensicherung gebracht wirst. Das bedeutet nicht nur, dass du die Spuren länger nicht loswerden kannst, sondern auch, dass eine ganze Menge Spuren verloren gehen können – zum Beispiel, weil du irgendwann auf Toilette musst. Das heißt, dass die Chance auf eine Verurteilung sogar oft höher ist, wenn du als allererstes die Spuren sichern lässt.
Lass die Spurensicherung so schnell wie möglich durchführen
Grundsätzlich ist es am besten, die Spurensicherung so schnell wie möglich machen zu lassen. Sofern du das mental und physisch sofort schaffst, empfehle ich dir, die Spurensicherung möglichst sofort hinter dich zu bringen. Aber wenn es nicht direkt für dich möglich ist, kannst du natürlich auch noch in den kommenden Tagen ins Krankenhaus gehen. Du bestimmst den Zeitpunkt. Falls du dich wirklich nicht bereit fühlst, ins Krankenhaus zu gehen, kannst du notfalls auch zu einer Ärztin oder einem Arzt deines Vertrauens gehen, zum Beispiel zu deiner Hausärzt*in, Gynäkolog*in oder Urolog*in. Weil die Kürze der Zeit nach einem Vorfall wichtig für die medizinische Versorgung ist und die Möglichkeiten in Krankenhäusern besser als in Arztpraxen sind, ist eine Notaufnahme aber in jedem Fall vorzuziehen.
Geh in ein Krankenhaus, das eine vertrauliche Spurensicherung anbietet
Grundsätzlich kann die Spurensicherung von jeder medizinischen Einrichtung durchgeführt werden, also im Krankenhaus oder bei einer Fachärzt*in wie einer Gynäkolog*in oder Urolog*in. Es gibt aber viele Gründe, weshalb man zu einer spezialisierten Einrichtung gehen sollte, also zu einem bestimmten Krankenhaus in deiner Stadt: manche Einrichtungen haben zum Beispiel keine Spurensicherungs-Sets auf Lager, sodass du von einem Krankenhaus ins nächste weitergeschickt werden könntest. Außerdem solltest du von einer Person untersucht werden, die genau für Fälle wie deinen ausgebildet wurde, was für die meisten Mediziner*innen und Pflegekräfte leider nicht zutrifft. Bei einer Person mit spezieller Ausbildung kannst du sicher sein, dass die Spuren später rechtlich verwertbar sind und vor Gericht als Beweismittel zugelassen werden können.
In Krankenhäusern, die eine vertrauliche Spurensicherung anbieten, werden die gesammelten Spuren und Beweise für mehrere Monate oder manchmal sogar Jahre aufbewahrt, sodass du alle Zeit hast, dir in Ruhe zu überlegen, ob und wann du anzeigen möchtest. Frag vor Ort am besten danach, wie lange die Aufbewahrungsdauer in diesem Krankenhaus ist.
Über diese Suchmaske kannst du herausfinden, welche Notaufnahmen in deiner Nähe eine vertrauliche Spurensicherung anbieten. Gib dazu einfach rechts auf der Seite ein, welche Art von Gewalt du erfahren hast und dann deine Postleitzahl. Dann werden dir Krankenhäuser in deiner Nähe angezeigt, die eine vertrauliche Spurensicherung anbieten.
Wenn du nicht die Möglichkeit hast, in eine spezialisierte Einrichtung zu gehen, solltest du sichergehen, dass das Personal eine sogenannte “gerichtsfeste Dokumentation” anfertigen kann. Diese geht über eine normale medizinische Dokumentation hinaus und kann vor Gericht ebenfalls als Beweismittel dienen.
Die gesetzliche Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Spurensicherung
Um Kosten musst du dir bei einer Spurensicherung keine Sorgen machen. Seit 2020 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten, die für die Dokumentation, die Laboruntersuchungen und die Aufbewahrung der gesammelten Befunde entstehen. Du musst dafür also nichts zahlen.
Wenn du privat versichert, Asylbewerber*in bist oder unter 18 Jahren alt bist, ist die Kostenübernahme nicht gesichert. Informiere dich vor der Spurensicherung beim Krankenhaus darüber, wenn du die Kosten nicht übernehmen könntest.
Was du tun kannst, damit möglichst keine Spuren verloren gehen
Wenn du dich für eine Spurensicherung entscheidest, versuch vorher unbedingt, nicht zu duschen, deine Hände zu waschen oder deine Kleidung zu wechseln. Wenn in deinem Intimbereich Spuren sein könnten, geh – wenn das möglich ist – vorher auch nicht auf die Toilette.
Bewahre alles auf, was möglicherweise berührt wurde und bring es zur Spurensicherung mit. Das können Taschentücher sein, Kondome, ein Kaugummi, eine Flasche oder Bettwäsche. Auch Klopapier kannst du mitbringen, wenn du auf Toilette gehen musst und Spuren daran haften könnten.
Das, was du zum Tatzeitpunkt anhattest, kannst du am besten einfach anlassen. Du kannst dich im Notfall aber auch umziehen und deine Kleidung in einer verschlossenen Papiertüte mitbringen. Wenn du nur eine Plastiktüte hast, solltest du deine Kleidung und andere Sachen erst direkt vor der Fahrt zur Spurensicherung hineinpacken und sie nicht so verschließen, dass keine Luft mehr daran kommt.
Ich weiß, wie stark das Bedürfnis sein kann, alles abzuwaschen und hinter sich zu lassen. Dem Drang zu widerstehen hilft dir dabei, möglichst viele Spuren sichern zu können – für den Fall, dass du später anzeigen möchtest.
So läuft eine Spurensicherung ab
Es ist dir bestimmt wichtig, dir besser vorstellen zu können, was bei einer vertraulichen Spurensicherung passiert. Eine vertrauliche Spurensicherung besteht aus mehreren Teilen und beginnt mit einem Gespräch, bei dem die Person, die dich untersucht, dokumentiert, was passiert ist. Bei einer spezialisierten Einrichtung kannst du dir sicher sein, dass die Person, die dich untersucht, jeden Tag Menschen untersucht, die in einer ähnlichen Situation sind wie du. Du musst also keine Sorgen haben, dass dir unangemessene Fragen gestellt werden – sondern nur solche, die helfen, die Spuren zu erklären und eine Tat zu dokumentieren.
Anschließend sammelt die Person, die dich untersucht, Spuren an deiner Kleidung, deiner Haut, deinen Haaren und überall da, wo es welche geben könnte. Das kann zum Beispiel heißen, dass deine Kleidung mit einem durchsichtigen Klebeband abgetupft wird, dass deine Haare oder Intimbehaarung mit einem sterilen Kamm durchkämmt wird oder dass mit Wattestäbchen Proben genommen werden, wo DNA zu finden sein könnte. Aber sogar Fingerabdrücke können manchmal von der Haut genommen werden, wenn sie noch ganz frisch sind. Möglicherweise werden außerdem Urin- und Blutproben genommen, wenn das sinnvoll erscheint und du zustimmst.
Außerdem wird bei der gerichtsfesten Dokumentation festgehalten, welche Verletzungen und Spuren es gibt. Dabei wird dein Körper Stück für Stück fotografiert und ein Bericht geschrieben.
Am Ende werden deine Daten unter einem Decknamen, den du später angeben kannst, in einer Datenbank gespeichert und dann für eine bestimmte Zeit aufbewahrt, die dir mitgeteilt wird. Wenn du möchtest, kannst du eine Kopie aller Unterlagen bekommen. Sollte das keine sichere Option für dich sein, kann sie auch eine Person deines Vertrauens für dich aufbewahren.
Je nach Krankenhaus, Tageszeit und Situation ist die Dauer einer Spurensicherung nicht gut voraussehbar. Manchmal dauert sie eine Stunde, aber auch zwei oder drei Stunden sind bis zum Abschluss möglich. Nimm auch deshalb, wenn möglich, eine Vertrauensperson mit, die an deiner Seite ist. Das ist immer erlaubt.
Im Anschluss an die Spurensicherung
Du kannst dich bei der Spurensicherung an weitere Angebote weiterleiten lassen und mehr Informationen und Hilfe bekommen. Zum Beispiel kannst du dich im Anschluss an eine Beratungsstelle wenden oder an eine psychologische Notfallambulanz. Wichtig ist jetzt, dass du nicht allein damit bist, zu verarbeiten, was passiert ist.
Weil manche Verletzungen wie blaue Flecken erst nach einigen Tagen wirklich sichtbar werden, kannst du für deren Dokumentation auch wiederholt zur Spurensicherung gehen.
Was du tun kannst, damit du dich bei der medizinischen Versorgung möglichst sicher fühlst
Es ist vollkommen verständlich, wenn du dich bei der Vorstellung, deinen Körper von einer fremden Person untersuchen zu lassen, unwohl fühlst. Vielleicht hast du auch gute Gründe, daran zu zweifeln, dass du sensibel behandelt wirst. Das kann ich gut verstehen. Aber du musst das nicht alleine durchstehen. Wenn es dir möglich ist, nimm eine Person deines Vertrauens mit. Diese Person kann dich dabei unterstützen, mit dem Krankenhauspersonal zu sprechen und sicherstellen, dass du dich so wohl wie möglich fühlst. Sag deiner Vertrauensperson jederzeit, wie sie sich verhalten soll und wie sie dich am besten unterstützen kann.
Du kannst bei Untersuchungen oder der Spurensicherung immer sagen, dass du eine Pause brauchst oder dass du die Behandlung abbrechen möchtest. Die Menschen, die dich behandeln, werden alles tun, um dich so schnell und schonend wie möglich zu versorgen. Du kannst auch sagen, ob du lieber von einer Frau oder einem Mann behandelt werden möchtest. Falls gerade keine Person des Geschlechts verfügbar ist, bei dem du dich wohler fühlst, kannst du darum bitten, so lange zu warten. Eine Garantie gibt es dafür nicht, aber im Rahmen der Möglichkeiten wird normalerweise versucht, deinem Wunsch nachzukommen.
Ich will dich ermutigen, in diesem schweren Moment für dich einzustehen. Es ist so wichtig, dass du dich in dieser Situation möglichst sicher fühlst. Sprich also, wenn möglich, alles an, das dir wichtig ist. Ob du Durst hast, dass du etwas mehr Zeit für einen nächsten Schritt brauchst oder ob dir Schritt für Schritt erklärt werden kann, was passiert.
Ich empfehle dir den Schritt zur medizinischen Notfallversorgung deshalb so sehr, weil mir daran gelegen ist, dass es für dich in der kommenden Zeit möglichst ein paar Themen weniger gibt, über die du dir Gedanken machen musst.