Für viele Betroffene von Gewalt kommt früher oder später die Frage nach einer Therapie auf. Vielleicht geht es dir so schlecht, dass du dir diese Form der Unterstützung selber suchen möchtest. Oder du hast von anderen Betroffenen gehört, wie wichtig ihre Therapie für sie war. Es muss dir nicht einmal richtig schlecht gehen, damit dir eine Therapie helfen kann. Denn du kannst in einer Therapie auch Emotionen, Verhaltensweisen, Erfahrungen oder Muster angehen, die im Alltag vielleicht nicht offensichtlich sind oder denen du dir noch gar nicht richtig bewusst bist.
In diesem Artikel gebe ich dir einen Überblick darüber, was du zum Thema Therapie wissen solltest und wie du einen Therapieplatz finden kannst.
Was Therapie überhaupt bedeutet
Mit dem Begriff “Therapie” ist meist eine Psychotherapie gemeint, in der psychische oder seelische Erkrankungen behandelt werden. Eine Therapie bietet dir einen geschützten Rahmen, in dem du dich sicher fühlen kannst, offen zu sprechen, zu weinen oder auch einfach mal zu schweigen, wenn dir danach ist. Du bekommst die Unterstützung einer Fachperson, um deine Erfahrungen zu verarbeiten.
Für Betroffene von Gewalt kann eine Therapie eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Heilung spielen. Sie hilft dabei, traumatische Erlebnisse zu verstehen, emotionale Verletzungen zu verarbeiten und Strategien zu entwickeln, um mit Nachwirkungen wie Angst, Schuldgefühlen oder Depressionen umzugehen. Das Ziel einer Therapie ist, dass du Veränderungen in deinem Leben herbeiführen und dein Leben selbstbestimmt gestalten kannst.
Eine Therapie gibt dir die Möglichkeit, in deinem eigenen Tempo über deine Erlebnisse zu sprechen – zu keinem Zeitpunkt wirst du gedrängt, mehr zu erzählen, als du möchtest. Es kann dir auch geholfen werden, wenn du noch Schwierigkeiten hast, deine Gefühle oder Gedanken in Worte zu fassen.
Bei den meisten Therapien finden Sitzungen in regelmäßigen Abständen, zum Beispiel ein Mal in der Woche, statt. Das spricht du in den ersten Sitzungen mit deiner Therapeut*in ab. Diese Sitzungen dauern in den meisten Fällen 50 Minuten. Je nachdem, welche Form von Therapie du wählst, ist der Behandlungsansatz unterschiedlich. Allen gemein ist, dass eine Therapie ein Prozess ist, der Zeit und Geduld erfordert, aber sie ist ein wertvolles und manchmal sogar notwendiges Element deines Heilungswegs. Und du verdienst jede Form von Unterstützung, die dir auf diesem Weg hilft.
Wichtig ist, dass du dir bewusst machst, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, dir Hilfe zu suchen, sondern im Gegenteil ein Zeichen von Stärke.
Es gibt verschiedene Therapieformen, die du machen kannst
Es gibt vier verschiedene Formen von Therapie, die von gesetzlichen Krankenkassen anerkannt sind und für die deshalb die Kosten übernommen werden können: die analytische Psychotherapie, die tiefenpsychologische Psychotherapie, die Verhaltenstherapie und die systemische Therapie. Alle diese Formen haben unterschiedliche Ansätze und Methoden. Je nach deiner Persönlichkeit, deinen Bedürfnissen und den Folgen, die deine Gewalterfahrung für dich hat, können verschiedene Ansätze hilfreich sein.
- Die analytische Psychotherapie
Bei dieser Therapieform wird angenommen, dass Krankheitssymptome durch Erfahrungen verursacht werden, die du im Laufe deines Lebens gemacht hast, die aber nicht bewusst verarbeitet werden konnten. Die noch unbewussten verdrängten Gefühle, Erinnerungen oder Beziehungsmuster sollen in der Therapie erkannt werden, indem du sie gemeinsam mit deiner Therapeut*in analysierst. Das Ziel ist, dass du verstehen lernst, was du fühlst und wie du handelst und es dadurch verändern kannst. - Die tiefenpsychologische Psychotherapie
Bei dieser Therapieform geht es ebenfalls darum, Unbewusstes zu verstehen, das deine Symptome verursacht, weil sie als Folge früherer oder aktueller Konflikte verstanden werden. Du wirst dabei unterstützt, Zusammenhänge zu erkennen, die dir bisher nicht bewusst waren, sodass du Veränderungen in deinem Erleben und deinem Verhalten herbeiführen kannst. - Die Verhaltenstherapie
Bei einer Verhaltenstherapie wird davon ausgegangen, dass psychische Beschwerden das Ergebnis von bewussten und unbewussten Lernprozessen sind. Dafür sprichst du am Anfang gemeinsam mit deiner Therapeut*in darüber, welche Erlebnisse du in deinem Leben gemacht hast, die zu deinen heutigen Problemen beitragen. Anschließend werden gemeinsam Ziele für die Therapie festgelegt. Auf Basis dieser Ziele wirst du angeleitet, deine Stärken und Fähigkeiten einzusetzen, um dein Denken, Fühlen und Verhalten zu verändern - Die systemische Therapie
Bei der systemischen Therapie geht es um vor allem darum, psychische Probleme im Kontext deiner Beziehungen zu betrachten. Daher kann sie beispielsweise eine gute Möglichkeit sein, wenn du wegen deiner Gewalterfahrung Probleme in deinen Beziehungen zu anderen Menschen hast. Besonders wird darauf abgezielt, deine eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten zu fördern, Interaktionen mit anderen neu zu betrachten und Lösungen für die Probleme zu entwickeln, die du selber für wichtig hältst. Bei der systemischen Therapie ist es möglich, wichtige Bezugspersonen wie deine Partner*in einzubeziehen.
Neben diesen Therapieformen gibt es auch noch weitere, die aber nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Wenn du privatversichert bist, kannst du dich bei deiner Krankenkasse über weitere Möglichkeiten informieren. Als Selbstzahler*in stehen dir ebenfalls weitere Möglichkeiten zur Verfügung.
Was ist der Unterschied zwischen Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen und Psychiater*innen?
Genau wie es verschiedene Therapieformen gibt, gibt es auch verschiedene Gruppen von Behandler*innen. Die Begriffe “Psychotherapeut*in”, “Psycholog*in” und “Psychiater*in” werden oft verwechselt, bedeuten aber nicht dasselbe. Diese Unterschiede gibt es:
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Psycholog*in
Psycholog*innen haben ein Psychologiestudium abgeschlossen und sind Expert*innen für das menschliche Denken, Fühlen und Verhalten. Um therapeutisch arbeiten zu dürfen, müssen sie eine zusätzliche Ausbildung zur Psychotherapeut*in absolvieren. -
Psychotherapeut*in
Psychotherapeut*innen haben eine spezielle Ausbildung in Psychotherapie gemacht und dürfen therapeutische Sitzungen abhalten. Sie können sowohl aus dem Bereich der Psychologie als auch der Medizin kommen. Psychotherapeut*innen arbeiten mit verschiedenen Methoden, um psychische Erkrankungen oder Traumata zu behandeln. -
Psychiater*in
Psychiater*innen sind Ärtz*innen, die sich auf die Behandlung psychischer Erkrankungen spezialisiert haben. Im Gegensatz zu Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen dürfen sie daher Medikamente verschreiben, z.B. bei schweren Depressionen, Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Solltest du denken, dass du Medikamente brauchst, sind Psychiater*innen die besten Ansprechpartner*innen.
Therapeut*innen haben Schweigepflicht
Die Schweigepflicht ist eine gesetzliche Regelung, die sicherstellt, dass alles, was du in einer Therapie teilst, vertraulich bleibt. Deine Therapeut*in darf also nichts, was du sagst, ohne deine ausdrückliche Erlaubnis an Dritte weitergeben – weder an deine Familie noch an Behörden oder die Polizei. Das gilt auch für Dinge, die du vielleicht als besonders sensibel empfindest, wie Details über das erlebte Trauma, die Person, die dir Gewalt angetan hat, deine Gefühle oder andere private Angelegenheiten. Nur deiner Krankenkasse müssen sie natürlich deine Diagnose mitteilen.
Die Schweigepflicht ist eine der wichtigsten Grundlagen für den Vertrauensaufbau in einer Therapie. Sie gibt dir die Sicherheit, dass du offen und ehrlich über alles sprechen kannst, ohne Angst haben zu müssen, dass diese Informationen an jemanden weitergegeben werden. Besonders bei Themen wie sexualisierter Gewalt, die oft mit Scham oder Angst verbunden sind, ist es essenziell, zu wissen, dass das, was du teilst, sicher und geschützt bleibt. Ohne das Vertrauen in die Vertraulichkeit wäre es für viele Menschen schwierig, sich wirklich zu öffnen und sich mit ihren tiefsten Ängsten oder Sorgen auseinanderzusetzen.
Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen von der Schweigepflicht, zum Beispiel wenn akute Gefahr für dich selbst oder für andere durch Suizid oder eine bevorstehende Straftat besteht. Auch, wenn Kinder oder Jugendliche Gewalt erfahren, müssen die Behörden eingeschaltet werden. Aber auch in diesen Fällen ist deine Therapeut*in gesetzlich verpflichtet, dich vorher zu informieren – es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen in Frage gestellt wird. Grundsätzlich darfst du dich aber darauf verlassen, dass alles zwischen dir und deiner Therapeut*in vertraulich bleibt und deine Privatsphäre geschützt ist.
Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?
In den meisten Fällen werden die Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Dafür muss die Therapie von einer Therapeut*in durchgeführt werden, die eine Kassenzulassung hat.
Bei privaten Krankenkassen können die Regelungen unterschiedlich sein, daher ist es ratsam, direkt bei deiner Versicherung nachzufragen, welche Therapieformen und -umfänge sie übernehmen.
Die richtige Therapeut*in für dich persönlich finden
Es ist super wichtig, die richtige Therapeut*in für dich persönlich zu finden, denn du musst dich mit der Person ausreichend wohl fühlen, um dich öffnen zu können. Mit der Zeit musst du die Möglichkeit haben, Vertrauen zu deinem Gegenüber aufbauen können, weil das Verhältnis zwischen dir und deiner Therapeut*in entscheidend dafür ist, zu heilen.
- Schau auf die Spezialisierung
Manche Therapeut*innen sind auf Traumatherapie oder spezifische Störungen spezialisiert. Wenn du sexualisierte Gewalt oder Gewalt in einer Beziehung erlebt hast, kann es hilfreich sein, eine Therapeut*in zu finden, die Erfahrung mit solchen Themen hat. - Hör auf dein Bauchgefühl
In den ersten Sitzungen kannst du ein Gespür dafür entwickeln, ob die Therapeut*in zu dir passt. Fühlst du dich verstanden und sicher? Hast du das Gefühl, dass deine Bedürfnisse ernst genommen werden? Eine Therapie muss nicht immer angenehm sein – es kann auch mal sein, dass du herausgefordert wirst, um dich weiterentwickeln zu können. Sicher musst du dich aber zu jedem Zeitpunkt fühlen können. - Such weiter nach dem richtigen Therapieplatz, bis du ihn hast
Wenn du merkst, dass die Chemie nicht stimmt, kann es manchmal notwendig sein, nicht den ersten Therapieplatz anzunehmen, den du angeboten bekommst. Du kannst aber auch schon während einer laufenden Therapie eine andere Therapeut*in suchen, wenn du dich nicht richtig aufgehoben fühlst.
Welche Schritte gibt es auf dem Weg zu einer Therapie?
- Finde eine Person, die einen freien Therapieplatz hat
Der erste Schritt besteht darin, eine geeignete Therapeut*in zu finden. Das geht zum Beispiel auf Suchportalen wie 116117.de bei therapie.de oder bei Psychotherapiesuche.de ganz gezielt. Hier kannst du nach einer Therapeut*in in deiner Umgebung suchen und verschiedene Filter setzen. Über die Seite der Bundestherapeutenkammer bekommst du ebenfalls für jedes Bundesland eine übersichtliche Darstellung der verfügbaren Psychotherapeut*innen angezeigt. - Kontaktaufnahme
Wenn du eine passende Therapeut*in gefunden hast, nimmst du als nächstes Kontakt auf. Am besten erreichst du viele Therapeut*innen telefonisch – du kannst dabei eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, falls sie gerade nicht erreichbar sind. Auch eine E-Mail ist eine gute Möglichkeit, ein Erstgespräch zu vereinbaren. Es kann sich lohnen, auf mehreren Wegen oder bei mehreren Personen anzufragen, um die Chancen auf einen baldigen Termin zu erhöhen. Telefonisch sind Therapeut*innen übrigens meistens in den zehn Minuten vor einer vollen Stunde erreichbar, weil viele Therapiesitzungen zur vollen Stunde beginnen und 50 Minuten dauern. - Erstgespräch und Kennenlernsitzungen
Das Erstgespräch ist der erste persönliche Termin, bei dem es um eine erste Einschätzung deiner Situation und deiner Bedürfnisse geht. Oft wird hier schon besprochen, ob und welche Art von Therapie hilfreich wäre. Wenn ein Therapieplatz frei ist, können dann bis zu fünf weitere so genannte “probatorische Sitzungen” folgen, in denen du mehr über dich und deine Themen sprechen kannst. Diese Phase dient dazu, sich gegenseitig kennenzulernen, eine erste Diagnose zu stellen und zu prüfen, ob die Therapieform für dich geeignet ist. Hier kann auch festgelegt werden, welche Therapieziele verfolgt werden sollen. Wenn sowohl du als auch dein Gegenüber das Gefühl haben, dass ihr gut miteinander zusammenarbeiten könntet und ein Therapieplatz zur Verfügung steht, kann die eigentliche Therapie im Anschluss starten. - Bericht und Antrag
Um die Therapie von der Krankenkasse bewilligen zu lassen, erstellt deine Therapeut*in einen Bericht für die Krankenkasse, der die Notwendigkeit der Therapie darlegt und auch körperliche Ursachen für die Beschwerden ausschließt. Manchmal ist dafür eine zusätzliche medizinische Untersuchung erforderlich, um sicherzustellen, dass deine Beschwerden keine körperlichen Ursachen haben. Dieser sogenannte Konsiliarbericht ist notwendig, um die Therapie bei der Krankenkasse zu beantragen. Bei der Beantragung musst du meist auch einige Formulare und Fragebögen ausfüllen, die du von deiner Therapeut*in bekommst. Dann beantragt deine Therapeut*in die Kostenübernahme bei deiner Krankenkasse. Du musst den Antrag nur noch unterschreiben. - Therapiebewilligung abwarten
Der Antrag auf Therapie wird jetzt von der Krankenkasse geprüft. In der Regel bekommst du innerhalb von vier Wochen eine schriftliche Antwort per Post zugeschickt. In den meisten Fällen werden Therapieanträge bewilligt. Mit einer Bewilligung übernimmt die Krankenkasse die Kosten der Therapie, sodass sie offiziell beginnen kann. - Jetzt kannst du die Therapie beginnen
Deine Therapie kann jetzt beginnen. Du musst jetzt nur noch ein Mal am Anfang jedes Quartals deine Krankenkassenkarte zu deiner Therapeut*in mitbringen.
So findest du leichter einen Therapieplatz
Ich hoffe, dieser Überblick konnte schon mal einige deiner Fragen zum Therapie klären und dich ermutigen, dir einen Therapieplatz zu suchen. Manchmal kann sich der Prozess ganz schön in die Länge ziehen. Mein Tipp ist, dass es meist deutlich weniger lange dauert, einen Therapieplatz zu finden, wenn du dich über ein paar Tage verteilt ein paar Stunden dahinter klemmst, als wenn du den Prozess langsam angehen lässt. Denn dann ist oft nicht mehr so leicht nachvollziehbar, bei wem du dich schon gemeldet hast und es kann entmutigender wirken, wenn man weniger Fortschritte erkennen kann, aber mehrere Absagen erhält.
Schreib dir deshalb unbedingt auf:
- Mit welchen Therapeut*innen du schon in Kontakt warst
- Was ihre Telefonnummer und gegebenenfalls ihre E-Mail-Adresse ist, unter der du dich melden sollst
- Speichere dir gegebenenfalls die Website oder das Onlineprofil ab
- Schreib dir auf, was sie gesagt haben: ob sie aktuell keine Plätze mehr frei haben zum Beispiel oder ob du dich ab nächstem Monat nochmal melden sollst
- Vor allem notiere dir, wann du nochmal anrufen sollst oder zu welchen Zeiten die Therapeut*in erreichbar ist
Wenn du so einen Überblick behältst, wird der Prozess für dich deutlich leichter.